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Die Logik, die für ein endliches System gilt, ist nicht zwangsläufig für ein unendliches Universum gültig. Theorien sind genauso wie Lebewesen nicht beliebig anpassungsfähig.
Erasmus, aus geheimen Aufzeichnungen in den Datenbanken von Omnius
Die Anlage der Villa auf Corrin folgte einem ähnlichen Muster wie das Gegenstück, das der Roboter auf der Erde errichtet hatte. Sowohl der Wohnbereich als auch der Laborkomplex gingen auf die kreativen Vorstellungen von Erasmus zurück. Die Sklavenbaracken hinter dem hohen Hauptgebäude waren von soliden Sandsteinmauern mit gusseisernen Toren umgeben, die zusätzlich durch Elektrostacheldraht und Energiefelder gesichert waren.
Hier fühlte er sich zu Hause. Erasmus freute sich schon darauf, bald mit seiner Arbeit zu beginnen.
In der Umzäunung wimmelte es vor Menschen. Fast eintausend schwitzende Körper führten Routinearbeiten unter einer roten Riesensonne aus, die wie ein gewaltiger Blutfleck am Himmel hing. Es war ein besonders heißer Nachmittag, aber die Sklaven legten keine Ruhepause ein und beklagten sich nicht, weil sie genau wussten, dass die Roboter sie sofort bestrafen würden.
Die gebildete Denkmaschine beobachtete die Arbeiten von einem Glockenturm im südlichen Quadranten des Anwesens aus. Es war einer von Erasmus' Lieblingsplätzen. Unter ihm brachen zwei alte Männer in der sengenden Hitze zusammen, und einer ihrer unterdrückten Kameraden eilte herbei, um ihnen wieder aufzuhelfen. Damit war der Tatbestand dreier strafbarer Verletzungen der Arbeitspflicht erfüllt: zweimal durch körperliches Versagen und einmal durch unzulässige Hilfeleistung. Die Gründe spielten keine Rolle.
Erasmus hatte bemerkt, dass die Sklaven zunehmend unruhig wurden, wenn er ihre Vergehen nicht unverzüglich bestrafte. Es amüsierte ihn zu beobachten, wie die Hoffnung und Angst unter ihnen größer wurden, bis die Unruhe dazu führte, dass sie noch mehr Fehler machten. Die Menschen verhielten sich auf Corrin genauso wie auf der Erde, und er war froh, dass er seine Experimente und Studien ohne Unterbrechung fortsetzen konnte.
Er drückte auf einen Knopf, worauf automatische Waffen wahllos in die Umzäunung feuerten. Dutzende von Sklaven wurden getötet oder verletzt. Verwirrt und verängstigt versuchten die Überlebenden zu entkommen, aber nirgendwo gab es Deckung. Die Zäune waren hoch und standen unter Strom. Einige Gefangene schoben ihre Kameraden nach vorn, um sich zu schützen, während sich andere tot stellten oder unter Leichen versteckten. Erasmus setzte das Feuer fort, aber nun achtete er darauf, dass niemand mehr getroffen wurde.
Ja, es befriedigte ihn, seine Forschungen weiterführen zu können. Es gab noch so viel zu lernen.
Eine Stunde lang schwiegen die Waffen, und die Menschen bewegten sich wieder, aber wesentlich vorsichtiger als zuvor. Sie trugen die Leichen beiseite und kauerten sich dicht gedrängt zusammen. Sie hatten keine Ahnung, was vor sich ging. Einige zeigten offen ihre Wut. Sie fluchten in Richtung der automatischen Waffen und reckten die Fäuste. Erasmus zielte sehr genau und schoss ihnen die Arme ab, einen nach dem anderen. Dann beobachtete er, wie sich die Opfer am Boden wanden. Selbst die tapfersten Menschen konnten zu heulenden und lallenden Idioten werden.
»Wie ich sehe, beschäftigst du dich wieder mit deinen Spielzeugen«, sagte der Corrin-Omnius von einem Bildschirm links von Erasmus im Glockenturm.
»Alles, was ich tue, geschieht zu einem bestimmten Zweck«, erwiderte Erasmus. »Ich lerne ständig dazu.«
Der Corrin-Omnius wusste nicht, wie sehr sich sein Gegenstück auf der Erde bei der Wette mit dem Roboter getäuscht hatte. Erasmus war eine bedeutende Lektion erteilt worden, als er unabsichtlich einen Flächenbrand der Revolution ausgelöst hatte. Aber die Daten hatten gleichzeitig eine ganze Menge neuer Fragen aufgeworfen. Er wollte nicht, dass der Allgeist einen großmaßstäblichen Ausrottungskrieg startete und einen Genozid an allen menschlichen Sklaven auf den Synchronisierten Welten beging – selbst wenn er zu diesem Zweck bestimmte Informationen für sich behalten musste.
Selbst wenn er zu diesem Zweck lügen musste.
Eine faszinierende Vorstellung. Erasmus war es nicht gewöhnt, in solchen Begriffen zu denken.
Das Haupttor schwang auf, und Roboterwachen brachten die Toten und Verletzten fort, bevor sie eine neue Gruppe von Sklaven in die Umzäunung trieben. Einer der Neuankömmlinge, ein großer blasshäutiger Mann, wirbelte abrupt herum und attackierte den nächsten Roboter. Er griff nach dessen Strukturfasern und versuchte die geschützten neurelektrischen Schaltkreise zu beschädigen. Er riss sich die Finger blutig, als er eine Versiegelung zerbrach und eine Hand voll Mobilitätskomponenten packte, wodurch die Maschine ins Wanken geriet. Zwei andere Roboter stürzten sich auf den Mann, und in einer makabren Imitation des Sklaven schlug einer seine stählernen Finger in die Brust des Menschen und riss ihm das Herz heraus.
»Sie sind nicht mehr als dumme Tiere«, sagte Omnius abschätzig.
»Tiere sind nicht zu Intrigen und Täuschungen in der Lage«, sagte Erasmus. »Diese Sklaven scheinen sich nicht mehr ohne weiteres in ihr Schicksal zu ergeben. Ich erkenne die Saat der Rebellion, sogar hier.«
»Auf Corrin hätte eine Revolte niemals Erfolg«, sagte Omnius' Stimme.
»Man kann nie alles wissen, mein lieber Omnius – nicht einmal du. Und das ist der Grund, warum wir uns für immer unsere Neugier bewahren müssen. Ich kann zwar das Verhalten von Massen bis zu einem gewissen Grad vorhersagen, aber nicht, was ein bestimmter Mensch im nächsten Augenblick tun könnte. Das ist eine ganz besondere Herausforderung.«
»Es ist völlig offensichtlich, dass Menschen eine einzige Ansammlung von Widersprüchen darstellen. Kein Modell kann ihr Verhalten zuverlässig vorhersagen.«
Erasmus blickte auf die Sklavenbaracken hinunter. »Trotzdem sind sie unsere Feinde. Also müssen wir uns bemühen, sie zu verstehen. Nur dadurch können wir unsere Herrschaft sichern.«
Der Roboter spürte eine seltsame Regung in seinen sensorischen Simulatoren. Wut? Frustration? Impulsiv riss er eine kleine Glocke aus der Befestigung und warf sie auf den Boden des Turmes, wodurch er einen lauten Missklang erzeugte. Er fand diesen Ton ... verstörend.
»Warum hast du die Glocke beschädigt?«, wollte Omnius wissen. »Ich habe dich nie zuvor bei einer so ungewöhnlichen Handlung beobachtet.«
Erasmus versuchte sich über seine Empfindungen Klarheit zu verschaffen. Er hatte gesehen, wie Menschen ähnliche Dinge getan hatten, wie sie aufgestaute Emotionen in einem Wutanfall abbauten. Doch in seinem Fall stellte sich kein Gefühl der Befriedigung ein. »Es war ... nur eins meiner Experimente.«
Erasmus hatte immer noch so viel zu lernen, wenn er das Wesen der Menschen verstehen wollte. Er hoffte, diese Erkenntnis als Sprungbrett benutzen zu können, damit sich die Maschinen noch weiter entwickelten und den Zenit ihrer Existenz erreichten. Er packte die Brüstung des Turmes mit kräftigen stählernen Fingern, brach ein Stück ab und ließ es auf den Platz fallen. »Ich werde es dir später erklären.«
Nachdem er seine Sklaven noch eine Weile beobachtet hatte, wandte er sich wieder dem Bildschirm zu. »Es wäre unklug, sämtliche Menschen auszulöschen. Stattdessen sollten wir durch effektivere Unterdrückungsmethoden ihren Willen und ihre Fähigkeit zum Widerstand zerstören.«
Der Allgeist, der stets großen Gefallen an den Diskussionen mit Erasmus fand, entdeckte begeistert einen Fehler in seiner Argumentation. »Aber wenn wir das tun, Erasmus, ändern wir dann nicht die fundamentale Natur der Menschen, die du studieren möchtest? Würde der Beobachter nicht das zu Beobachtende beeinflussen?«
»Ein Beobachter nimmt immer Einfluss auf das Experiment. Aber ich würde die Untersuchungsobjekte lieber verändern, als sie zu vernichten. Ich werde meine eigenen Entscheidungen treffen, wenn es um meine Menschen hier auf Corrin geht.«
Schließlich sagte Omnius: »Ich verstehe dich genauso wenig, wie ich die Menschen verstehe.«
»Das weiß ich, Omnius. Das wird immer deine größte Schwäche sein.«
Der Roboter schaute geradezu liebevoll auf seine versklavten Menschen, als seine Wachen die Toten und Verwundeten fortschafften. Erasmus dachte an all die wunderbaren Dinge, die er von dieser Spezies gelernt hatte ... und an die vielen Dinge, die er noch in Erfahrung bringen würde, wenn er die Gelegenheit dazu erhielt. Ihre kollektive Existenz war ein Balanceakt über einem tiefen, dunklen Abgrund, und Erasmus hielt zu ihnen. Er würde sie nicht so schnell aufgeben.
Auf der positiven Seite gab es zu verbuchen, dass während seiner Abwesenheit zwei neue Zwillingspaare geboren worden waren. Wie immer waren die Möglichkeiten unendlich.